Er sprach bis zuletzt von einer Art Notwehr-Unfall, das Gericht kaufte es ihm nicht ab: Nach monatelanger Verhandlung schickte es den 41 Jahre alten Marcus K. am Freitag lebenslang ins Gefängnis. Der Fliesenleger habe keineswegs in einer Affekt- oder Notwehrsituation gehandelt, sondern die 30-jährige Jessica S. planvoll erstochen, weil sie sich von ihm getrennt hatte und in Zukunft ohne ihn leben wollte.
Auch während der Urteilsverkündung, als die Kameras den Gerichtssaal verlassen hatten, schirmte Marcus K. sein Gesicht durch einen Ordner vom Publikum im vollbesetzten Saal des Leipziger Landgerichts ab: Die 16. Kammer verurteilte den 41 Jahre alten Fliesenleger aus Leipzig am Freitag zu lebenslangem Freiheitsentzug wegen Mordes. Sie sah es als erwiesen, dass der Angeklagte seine Ex-Partnerin Jessica S. am frühen Morgen des 21. Mai 2024 in der gemeinsamen Paunsdorfer Wohnung in der Heiterblickallee mit einem Messerstich in die Vene der rechten Halsseite tötete.
Angeklagter soll Trennung nicht akzeptiert haben
Die angestellte Modeverkäuferin wurde nur 30 Jahre alt, hinterlässt Freunde und Familie, darunter zwei Kinder. Die lebenslustige Frau sei arg- und wehrlos gewesen, heißt es in der Urteilsbegründung. Zudem habe Marcus K. daher nicht nur heimtückisch, sondern auch aus niedrigen Beweggründen gehandelt: Er habe die vom Opfer vier Wochen zuvor ausgesprochene Trennung nicht akzeptiert und Jessica S. das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt.
Am 22. April 2024 hatte sich Jessica S. nach jahrelanger Beziehung offiziell von Marcus K. getrennt und ihren Auszug geplant, war offenbar auch frisch verliebt. Sie lebte aber zum Tatzeitpunkt noch mit ihm und den beiden Kindern in einem Haushalt. Die Getötete hatte eine heute 11 Jahre alte Tochter aus einer früheren Verbindung und dazu gemeinsam mit dem Angeklagten noch einen 2019 geborenen Sohn. Während der Tat schliefen die Kinder in der Wohnung und leben derzeit bei der Mutter des Angeklagten.
Gericht hält Version des Angeklagten für erfunden
Dieser hatte das Geschehen in seiner Erklärung als eine Art Notwehr-Unfall dargestellt: Jessica habe ihm am Morgen auf dem Sofa, wo sie wegen eines Streits am Vorabend getrennt von ihm genächtigt hatte, überraschend ein Messer vorgehalten und ihn bedroht. Beim Versuch, es ihr abzunehmen, sei es im Gerangel zum tödlichen Stich gekommen.

Auch wenn es keine Augenzeugen der Tat gab, sei dies in der Gesamtschau der Beweislage unglaubhaft, sagte die Kammervorsitzende Antje Schiller in der Urteilsbegründung. Gegen diese Version spreche die Auffindesituation am Tatort ebenso wie die Tatsache, dass Jessica S. laut ihrem Umfeld niemals aggressiv, sondern vielmehr darauf bedacht war, auch nach der Trennung ein gutes Verhältnis aufrechtzuerhalten und ihrem Ex-Partner den Umgang mit den Kindern zu ermöglichen.
Es hätten sich keinerlei Abwehr- und Kampfspuren gefunden, welche die Behauptung des Angeklagten untermauern könnten. Außerdem gab keiner der Nachbarn in dem hellhörigen Mehrfamilienhaus an, irgendetwas von einem Streit mitbekommen zu haben. Ganz im Gegenteil habe am Morgen ungewohnte „Totenstille“ in der Wohnung über ihr geherrscht, erinnerte sich eine Hausbewohnerin später.
Angeklagter soll kontrollierend und sexuell übergriffig gewesen sein
Nach Überzeugung des Gerichts hatte Marcus K. vier Wochen nach der Trennung und dem Krach am Vorabend realisiert, dass es keinen Weg zurück mehr gibt, und sich daraufhin entschlossen, Jessica zu töten: „Er ging an diesem Morgen planvoll vor und überraschte Jessica im Schlaf.“
Laut Kenntnis der Ermittler soll Marcus K. sich aus der Küche ein Messer mit einer Klingenlänge von etwa 7 Zentimetern geholt haben, sei zur schlafenden Jessica ins Wohnzimmer gegangen und habe nach kurzem „Testen“ am Hals zugestochen. Das Opfer wurde wach, bäumte sich kurz auf, verblutete noch vor Ort.
„Jessica hatte natürlich das Recht, sich zu trennen und ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen“, stellte die Vorsitzende Richterin klar, hob auch darauf ab, dass Marcus K. in der längst zerrütteten Beziehung laut Zeugenaussagen mehrfach sexuell übergriffig geworden sein soll. Auch habe der Handwerker seine Partnerin permanent durch Anrufe kontrolliert und psychisch unter Druck gesetzt.
Immer wieder soll der Leipziger zwischen verbaler Bösartigkeit und Liebesschwur gependelt sein, habe teils Zuneigung erzwingen wollen und sich auch zuletzt ungefragt in Unternehmungen Jessicas eingemischt, berichteten Zeugen.
Verteidigung will Rechtsmittel prüfen
„Sie haben ein Leben ausgelöscht und einer Familie unfassbares Leid zugefügt“, fasste die Vorsitzende zusammen. Auch für die Kinder, die ihre Mutter verloren haben, bedeute das Verbrechen einen „unermesslichen Verlust.“
Die Kammer folgte mit ihrem Urteil dem Antrag von Staatsanwältin Vanessa Fink, während die Verteidigung auf fünf Jahre Haft wegen Totschlags in einem minderschweren Fall plädiert hatte. Laut den Anwälten Tom Hanke und Markus Czempik sei der Ablauf des Geschehens nicht zweifelsfrei aufgeklärt worden.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und eine Revision möglich. Die Verteidigung teilte mit, diese Option prüfen zu wollen.
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